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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.06.2004,
Nr. 126, S. 21 |
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Patagoniens kalter Wind soll in Zukunft Deutschlands
Häuser heizen Argentinisches Unternehmen
will Wasserstoff für den Export erzeugen / Das "Kuweit des 21. Jahrhunderts"
/ Finanzierung des Milliardenprojekts steht noch aus
mos. BUENOS AIRES, 1. Juni. Es klingt paradox: Da kämpft Argentinien gegen
eine akute Energieknappheit, die zunehmend das Wirtschaftswachstum stranguliert.
Und weil im Inland die Nachfrage nach künstlich verbilligtem Erdgas explodiert,
läßt die Regierung kurzerhand die Gaslieferungen an Nachbarländer kappen.
Doch gleichzeitig planen argentinische Unternehmer ein Großprojekt, mit
dem das Land in zwanzig Jahren zu einem der wichtigsten Energielieferanten
der Welt aufsteigen könnte. Die bisher in der Öl- und Gasförderung tätige
Unternehmensgruppe Capsa-Capex will aus den kalten Winden und Flußwassern
Patagoniens flüssigen Wasserstoff für den Export gewinnen. Damit könnten
dann in nicht allzu ferner Zukunft in Deutschland Wohnungen beheizt, in
Japan Autos angetrieben oder in den Vereinigten Staaten Stromkraftwerke
befeuert werden. "Wir wollen eine absolut saubere Energie erzeugen,
die das Klima vor den Treibhausgasen schützt und eine nachhaltige Alternative
zur Verbrennung von fossilen Brennstoffen bietet", sagt Enrique Götz, Präsident
der Gesellschaft Capex SA, die in Patagonien aus eigenen Erdgasvorkommen
ein modernes Wärmekraftwerk (650 Megawatt) befeuert und Flüssiggas produziert.
In zehn bis zwanzig Jahren werde die Förderung von Erdöl ihren Höhepunkt
überschreiten, weil die Reserven zu Ende gingen und die Förderung immer
teurer werde. Mit zehn Jahren Rückstand folge Erdgas diesem Trend. "Die
Veränderung der globalen Energiematrix ist unvermeidbar. Wir müssen so früh
wie möglich damit beginnen, die Alternativen zu entwickeln", sagt der Unternehmer,
der sich als Vorstandsmitglied im argentinischen Ableger des World Wildlife
Fund seit langem für den Umweltschutz stark macht.
Götz plant in großem Maßstab. Im Verlauf von zehn Jahren sollen fast 19
Milliarden Dollar in die Installation eines riesigen Windparks sowie in
Anlagen für die Produktion, die Lagerung und die Verschiffung von flüssigem
Wasserstoff investiert werden. Mit dem von Windmühlen erzeugten Strom würde
in Patagonien reichlich verfügbares Flußwasser durch Elektrolyse in Wasserstoff
und Sauerstoff getrennt. Der verflüssigte Wasserstoff soll mit Tankschiffen
in alle Welt exportiert werden.
Bei der Internationalen Konferenz für Erneuerbare Energien, die derzeit
in Bonn stattfindet, will Capsa-Capex das Projekt erstmals einer größeren
Öffentlichkeit vorstellen. Grundsätzlich neu ist die Idee allerdings nicht.
Schon seit langem erforschen Wissenschaftler das große Potential für die
aus Windkraft generierte Produktion von Wasserstoff in Patagonien. Kaum
irgendwo sonst auf der Welt bläst der Wind so stark, so kontinuierlich und
aus derart gleichbleibender Richtung wie von den Anden über die patagonische
Steppe. Das garantiere eine hohe Auslastung für die Windmühlen. Bislang
galt die Wasserstoff-Technologie noch als zu teuer. Doch angesichts der
rekordhohen Erdölpreise lägen die Kosten "nicht mehr außerhalb eines vernünftigen
Rahmens", sagt der Capex-Geschäftsführer Sergio Raballo. Im Vergleich zu
den hohen Gaspreisen in Japan etwa wäre der patagonische Wasserstoff nur
50 Prozent teurer, kalkuliert er. Wissenschaftliche Pilotprojekte gebe es
schon, doch Capsa-Capex präsentiere jetzt erstmals ein kommerziell ausgerichtetes
Projekt. Auf einer Fläche von 80 Kilometer Länge und 20 Kilometer Breite
soll ein gigantischer Windpark mit einer Kapazität von 16 100 Megawatt entstehen.
Das wäre mehr als die gesamte Ende 2003 in Deutschland installierte Windkraftstrom-Kapazität.
Während in Deutschland die Kritik an den die Landschaft verschandelnden
Windmühlen wächst, würden diese im menschenleeren Patagonien kaum jemand
stören. "Da leben weniger Einwohner je Quadratkilometer als in der Sahara",
schildert Götz. Der Capex-Windpark würde lediglich 0,33 Prozent der Gesamtfläche
der beiden windreichsten Provinzen Patagoniens (Chubut und Santa Cruz) beanspruchen.
Doch die Energieleistung des damit erzeugten Wasserstoffs, die 31,34 Terawattstunden
pro Jahr entsprechen würde, könnte 5,6 Prozent des gesamten deutschen Energieverbrauchs
von 2001 decken und die Kohlendioxyd-Emissionen in der Bundesrepublik um
4,8 Prozent verringern, kalkuliert Raballo. Das Potential scheint riesig.
Würde man 58 Prozent der Gesamtfläche nutzen, könnte damit rechnerisch der
gesamte Energiebedarf von Deutschland, Japan und den Vereinigten Staaten
gedeckt werden. "Mit diesem Projekt kann Argentinien zum Kuweit des 21.
Jahrhunderts werden", sagt Jürgen Illing, Geschäftsführer der Deutsch-Argentinischen
Industrie- und Handelskammer, der die Capex-Delegation nach Deutschland
begleitet. Das technische Konzept steht. Jetzt muß eine internationale Finanzierung
für das Projekt gefunden werden, denn Capex selbst kann nur einen Bruchteil
des Kapitals beisteuern. Aber wer gibt 19 Milliarden Dollar an ein Land,
das seit zweieinhalb Jahren seine Schulden nicht bezahlt? Und wer will sich
auf einen Energielieferanten verlassen, der den chilenischen Nachbarn den
Gashahn abdreht, um der eigenen Bevölkerung weiterhin die niedrigsten Gaspreise
der Welt zu garantieren? Argentinien müsse besondere Verpflichtungen in
einem internationalen Rechtsrahmen eingehen, um den Investoren Sicherheit
zu geben, sagt Raballo. Doch ebenso wichtig seien Vorgaben der politischen
Führer in aller Welt, die auf einen Ersatz der fossilen Brennstoffe hinsteuern.
Der Handel mit Emissionszertifikaten, der 2005 in der EU starten soll, könne
eine wichtige Finanzierungsquelle bieten, denn schließlich komme bei der
Verbrennung des aus Wind und Wasser erzeugten Wasserstoffs bloß Wasserdampf
aus dem Auspuff. Bisher würden die fossilen Brennstoffe indirekt subventioniert,
weil etwa die Kosten von Dürren und Überschwemmungen infolge von Klimaschäden
in den Preisen von Öl und Gas nicht reflektiert seien. "Auf die
Dauer wird unsere Energie billiger sein", ist sich Götz sicher. "Die Technologie
ist noch teuer, aber mit höheren Skalen und technischem Fortschritt wird
sie sich verbilligen, wie bei Handys und Computern." Möglicherweise könne
das Großprojekt sogar einen Beitrag zur Lösung der argentinischen Schuldenkrise
leisten, wenn Wege gefunden würden, die notleidenden Anleihen des Landes
in Eigenkapital-Beteiligungen an dem Energieprojekt zu tauschen. "Mit dem
Energiereichtum Patagoniens kann Argentinien seine Schulden bezahlen", glaubt
Götz.
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