SZ
vom 17.06.2000 Politik
Das Hirn der Welt
Am Montag beginnnt auf der Expo der „Global Dialogue“ / Von
Reymer Klüver
Es soll das „intellektuelle Rückgrat“ der Expo werden,
der „thematische
Pulsschlag“, der die Weltausstellung in Hannover die verbleibenden
vier
Monate ihrer Existenz in Schwung bringen wird. Keine Vokabel
ist zu
anspruchsvoll, kein Bild zu dramatisch, um die Bedeutung des
letzten
großen Teils der Expo 2000 zu beschreiben, der jetzt,
gut zwei Wochen
nach ihrem festlichen Beginn, zum ersten Mal öffentlich
besichtigt
werden kann – sozusagen jedenfalls. Denn wenn am Montagnachmittag
Schwedens König Carl Gustaf XVI. den „Global Dialogue“
feierlich für
eröffnet erklären wird, werden weder ein Pavillon
noch eine Halle zu
begehen sein, die vielleicht nicht rechtzeitig zum Himmelfahrtstag
fertig
geworden wären.
Nein, an diesem Montag beginnt ein Diskussionsforum mit
weltumspannenden Anspruch: Jeweils drei Tage lang werden sich
Forscher, Politiker, Vertreter von Wirtschaft und Kultur treffen,
um über
Themen von globaler Bedeutung zu reden – unter ihnen die Chefin
der
Weltgesundheitsorganisation WHO, Gro Harlem Brundtland, der
Präsident des Club of Rome, Ricardo Díez Hochleitner,
Dagmar
Schipanski, die ehemalige CDU-Präsidentschaftskandidatin
und jetzige
Wissenschaftsministerin aus Thüringen, und der Stifter
des alternativen
Nobelpreises Jakob von Uexkuell. Mehr als 60 Institutionen
und
Organisationen aus aller Welt wirken mit. Zwischen 300 und
700
Teilnehmer dürften bei den einzelnen Foren zusammen kommen,
dazu
eine noch nicht kalkulierbare Zahl virtueller Besucher, die
sich via Internet in die Diskussionen einklicken können.
Sabine Christiansen redet mit
Das erste der zehn Foren, das am Montag beginnt, knüpft
an das Thema
des Umweltgipfels von Rio 1992 an: „Natürliche Ressourcen
– die
nachhaltige Herausforderung“. Acht weitere Treffen forschen
nach
Politikstrategien im Zeitalter der Globalisierung, suchen
nach
Möglichkeiten, der weltweit grassierenden Armut zu entkommen,
erkunden neue Formen der Arbeit. Für das Gesundheitsforum
Ende
August wurden 30 junge Wissenschaftler aus aller Welt eingeladen,
ihre
Projekte zur breiten Gesundheitsvorsorge vorzustellen – zur
Diskussion
und vielleicht zur Nachahmung vor allem in Entwicklungsländern.
Die
letzte Gesprächsrunde im Oktober fragt zusammenfassend
nach den
Perspektiven einer globalen Partnerschaft.
Der Chef des Themenparks der Expo, Martin Roth, in dessen
Verantwortungsbereich auch diese Diskussionsforen fallen,
formuliert
das Anliegen des Global Dialogue so: „Wir suchen eine Zukunft,
und da
sollen möglichst viele mit beteiligt sein.“ Will sagen:
Die
Gesprächsrunden sollen nicht unter sich bleiben, die
Zukunftsfragen
sollen nicht hinter verschlossenen Saaltüren geführt
werden. Das
Problem des Gobal Dialouge dürfte jedoch eher sein, über
den Kreis der
Experten hinaus die interessierte Öffentlichkeit in Deutschland
zu
erreichen.
Dafür haben die Organisatoren des Dialogforums Sabine
Christiansen
angeworben, der Nation beliebteste Fernseh-Talkerin. Sie soll
die
Diskussionsrunden zum Abschluss der jeweils drei Tage währenden
Foren moderieren. „Platform for the Future“ heißen diese
Runden nicht
gerade bescheiden. In jedem Fall soll die fernsehgerechte
Moderation
Gewähr sein, dass die Diskussion „nicht im kleinen Zirkel“
bleibt. Ein
paar dieser Talkrunden werden sogar auf dem Fernsehkanal Phoenix
gezeigt – immerhin.
Ohne Zwang zum Ergebnis
Die Veranstaltungen des Global Dialogue seien eben „nicht
die zehnte
Konferenz zum Thema xy“, die wie die neun vorherigen als Palaver
der
Fachleute enden werde. „Der Reiz des Global Dialogue liegt
darin,
verschiedene Bereiche der Öffentlichkeit zusammenzuführen.“
Für die
Abschlussdiskussion des Umweltforums mit Sabine Christiansen
sind
immerhin neben Jakob von Uexkuell Umweltminister Jürgen
Trittin und
der umweltbewusste Shell-Vorstand Fritz Vahrenholt angekündigt.
Nun
ja, es kann ja nicht jedes Forum so ganz verschieden besetzt
sein.
Aber vielleicht sollen die verschiedenen Bereiche der Öffentlichkeit
ja auf ganz anderen Ebenen zusammengeführt werden: Die
dreitägigen
Konferenzen seien ein „informelles Treffen von Experten“,
sagt Roth, bei
dem ohne den Zwang diskutiert werden kann, einen formellen
Beschluss zu erzielen, wie es zum Beispiel bei UN-Konferenzen
sein
müsse. Den Global Dialogue könne man auch als „Projekt
Social Brain“
bezeichnen: Das gesellschaftspolitische Hirn der Welt soll
seinen Sitz in
Deutschland haben – jedenfalls für die Zeit der Expo.
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